VORWORT
01.09.2015. Argumente von Tierversuchsgegnern (TVG) sind Organisationsübergreifend in der Regel dieselben. Organisationen, die hier in Wort, Schrift und öffentlichen Aktionen häufig emotional, aggressiv und oft wenig durchdacht argumentieren, sind beispielsweise Ärzte gegen Tierversuche e. V, PETA, Vier Pfoten, land-der-tiere, Menschen für Tierrechte und Tierbefreier e.V. Deshalb wurden in der vorliegenden Arbeit die wichtigsten der von diesen Organisationen angeführten Argumente kritisch hinterfragt.
Zu den Beweggründen vieler TVG hier zum Einstieg ein Zitat von der Webseite Ärzte gegen Tierversuche e.V.:
„Ziel des Vereins ist, die Ausbeutung und das Leiden der Tiere zum angeblichen „Wohle des Menschen komplett aus der Medizin und anderen naturwissenschaftlichen Gebieten zu verbannen. Neben ethischen Argumenten führen wir dafür insbesondere medizinisch-wissenschaftliche Gründe an, die sich durch zahlreiche Studien belegen lassen. Es bedarf einer kompletten Umorientierung in der Medizin: weg von der heute allzu oft praktizierten mechanistischen Reparaturmedizin hin zu einer ethisch einwandfreien und zielführenden Heilkunst, die sich am Menschen orientiert.“
Offenkundig fordern die TVG ein Zurück zu einer Medizin als reine „Heilkunst“ (dies war bis vor 100 Jahren noch der übliche Zugang) ohne Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Diese Haltung ist aus ärztlicher, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht sehr bedenklich. Sie schließt Therapien aus wie beispielsweise die chirurgische und intensivmedizinische Behandlung nach einem Unfall, die Gabe von Antibiotika bei lebensbedrohlicher Lungenentzündung, oder eine moderne Leukämiebehandlung, die aus einer vorher tödlichen eine heilbare Krankheit gemacht hat. Wären die Vertreter dieser Ansicht tatsächlich selbst bereit, bei schwerer Krankheit auf solche Therapien zu verzichten? Außerdem: Warum soll „Reparaturmedizin“, etwa die Operation einer Blinddarmentzündung, ethisch bedenklich sein? Unzweifelhaft erfordert gute Medizin eine dem Menschen zugewandte, subjektive Heilkunst; aber wo endet diese Medizin, wenn man die naturwissenschaftlichen Grundlagen dabei außer Acht lässt?
Aus unserer heutigen Sicht überwiegen die ethischen, medizinisch-wissenschaftlichen Gründe FÜR die Fortsetzung von Tierversuchen in der Grundlagenforschung und Medikamentenentwicklung. Wir sind auch der Überzeugung, dass zum jetzigen Zeitpunkt das Ziel, Tierversuche zugunsten alternativer Methoden überflüssig zu machen, obwohl wünschenswert, dennoch nicht in greifbarer Nähe ist. Die sofortige Aussetzung jeglicher Tierversuche, wie durch die EU-Petition “Stop Vivisection” aus dem Jahr 2015 gefordert, würde wissenschaftliche Fortschritte in der medizinischen Forschung in Deutschland und der EU sehr stark einschränken. Natürlich unterstützen auch wir jegliche Anstrengungen, Tierversuche zu vermeiden, wo immer medizinischer Fortschritt ohne sie in vergleichbarem Ausmaß und ähnlicher Geschwindigkeit erreicht werden kann. In diesem Sinn sind manche der Argumente korrekt und werden von uns auch nicht hinterfragt.
Außerdem möchten wir zu bedenken geben, dass die Vertretbarkeit von Tierversuchen nicht von einer einzelnen Gruppe der Gesellschaft (= TVG oder Wissenschaftler) definiert wird, sondern von der gesamten Bevölkerung. Die TVG haben hier keinen Sonderstatus. So muss man auch andere Situationen beleuchten, bei denen wir Menschen mit Tieren umgehen. Zahlen dazu werden im nächsten Punkt aufgeführt. Spezifische Fragen sind: Gibt es eine allgemeine Akzeptanz dafür, dass
- Tiere als Nahrungsmittel verwendet werden? Tiere als Haus- oder Zootiere in Käfige gesperrt werden?
- Tiere als Haustiere artfremd in Wohnungen aufwachsen müssen? Müssten wir dies nicht konsequenterweise ebenfalls einschränken, um Haustieren von uns willkürlich bestimmtes Leid zu ersparen?
- Tiere für die Herstellung von Hunde- und Katzenfutter verarbeitet oder von Jägern getötet werden?
Es scheint, dass die meisten Menschen mit diesen Arten des Umgangs mit Tieren ihren Frieden gemacht haben. Wir möchten dies hier nicht diskutieren, bestreiten aber nachhaltig, dass Tierversuche hiervon getrennt zu diskutieren sind. Es steht den TVG jedenfalls nicht zu, allgemeine moralische Richtlinien für alle zu erstellen. Moralisch konsequent wäre im Übrigen, wenn die TVG für sich konsequent jede medizinische Behandlung, die auf Tierversuchen beruht, ablehnen würden.
Zum Abschluss dieser Einführung noch ein Zitat von Ärzte gegen Tierversuche e. V., das besonders gut deren Ideologie- und nicht Wissenschaftsbasierten Ansatz zeigt:
“Einer der schlimmsten Schäden, den Tierversuche anrichten, besteht in der Verrohung der medizinischen Kultur. Abgesehen davon, dass der Tierversuch immer mit Menschenversuchen in Verbindung stand…”
Nur wenige Gedanken dazu: Wenn das Ziel ist, keine Tierversuche zu machen, wir aber weiter neue Medikamente entwickeln wollen; wird deren erste Erprobung am Menschen dann nicht ein „Menschenversuch“ sein? Dieses Beispiel zeigt, wie von den TVG Emotionen über Sachlichkeit gestellt werden. Dem stellen wir uns als Wissenschaftler energisch entgegen. Wir wehren uns auch aufs Schärfste dagegen, in einem Atemzug mit Sätzen genannt zu werden, die an die schrecklichen Menschenversuche in unserer Vergangenheit erinnern lassen.
HÄUFIGE ARGUMENTE VON TIERVERSUCHSGEGNERN
Generell lässt sich beobachten, dass TVG immer gerne Beispiele, also einzelne „Studien“ herauspicken, bei denen vom Tierversuch nicht auf eine Wirkung im Menschen geschlossen werden konnte. Was aber sagt ein einzelnes Beispiel angesichts der Vielfalt von Medikamenten und Krankheiten über die generelle Sinnhaftigkeit von Tierversuchen aus?
1. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Im Jahr 2011 wurden 2.911.705 Tiere in deutschen Laboratorien getötet.
Stellungnahme DGfI:
Im Jahr 2012 waren es 3,1 Mio. Davon waren 2,2 Mio Mäuse und 420 000 Ratten. Hunde, Katzen, Hamster, Kaninchen und Affen machten 0,2 % aus, Primaten (Affen) 0.05%. Demgegenüber wurden 754 Mio Tiere für die Nahrungserzeugung geschlachtet und es gab 33,3 Mio Haustiere, davon 12,3 Mio Katzen. Wie viel mehr als 2,2 Mio Mäuse sie wohl pro Jahr sehr unschön getötet haben?
Quelle: Die Zeit vom 15.5.2014.
2. ARGUMENT
2.a) Tierversuchsgegner:
Krankheiten des Menschen können durch Tierexperimente weder in ihren wirklichen Ursachen erforscht noch geheilt werden. Tiermodelle menschlicher Krankheiten haben außer ähnlichen Symptomen wenig mit der menschlichen Erkrankung gemein. Die Ausrichtung der Wissenschaft am Tierversuch ist schuld daran, dass es bei den wesentlichen Erkrankungen des Menschen bisher keine Durchbrüche zu verzeichnen gibt.
2.a) Stellungnahme DGfI:
Nachweislich sind in den letzten Jahren eine Vielzahl von Medikamenten und Therapien auch auf Grundlage von Krankheitsmodellen in Tierversuchen entwickelt worden. Ein besonders eindrückliches Beispiel sind Fortschritte in der Krebstherapie, die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, die im Jahr 2013 sogar zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres gewählt wurden. Diese wurden klar belegbar in Mausmodellen vorbereitet. Von diesem Fortschritt profitieren zur Zeit ca. 50 % der Patienten mit metastasiertem schwarzen Hautkrebs (früher ein unumgängliches Todesurteil). Dieses Beispiel für medizinische Erfolge durch Tierversuche ist hier inklusive der Quellen ausführlich dargestellt. Weitere Beispiele aus dem Bereich der Immunologie (Impfung, Asthma) sind in Bearbeitung und werden in Kürze dem Bereich Material zugefügt.
Die Tatsache, dass viele Erkrankungen dennoch nicht vollständig sondern nur teilweise besiegt sind, ist also gerade kein Beweis für die Sinnlosigkeit von Tierversuchen, sondern ein Beweis dafür, dass sie schrittweise helfen und somit bis hin zum vollständigen Besiegen der Krankheiten weiter eingesetzt werden sollten.
2.b) Tierversuchsgegner:
Es ist unsere selbstmörderische Lebensweise, die zu Krankheiten führt – diese läßt sich im Tier nicht adäquat imitieren.
2.b) Stellungnahme DGfI:
Das Wort „selbstmörderisch“ ist ein Originalzitat. Also sind etwa Multiple Sklerose (MS) und Rheuma durch „selbstmörderisches Verhalten“ ausgelöst??
Gegen eine gesunde Lebensweise zur Vermeidung von vielen sogenannten Zivilisationskrankheiten ist natürlich nichts einzuwenden. Wie komplex dies aber ist, kann man z.B. an der Hygienehypothese erkennen. Menschen, die in besonderem Maß sauber leben und Bakterien in ihrem Umfeld reduzieren, erkranken gehäuft an Allergien. Und vielfach (z.B. MS und Rheuma) sind etwaige auslösende Faktoren völlig unklar.
Außerdem: Soll irgendeinem Menschen aufgrund seiner Lebensweise eine medizinische Versorgung verweigert werden? Sollen Tierversuche zur Entwicklung von Medikamenten gegen diese Krankheiten verboten werden? Können TVG dies für unsere Gesellschaft entscheiden?
Übrigens: Oft verstärkt die Lebensweise nur eine genetisch bedingte Empfänglichkeit für bestimmte Erkrankungen. Deshalb ist aus unserer Sicht ein vorschnelles Urteil (“selbstmörderisches Verhalten”) zynisch und menschenverachtend.
3. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Die Resultate von Tierexperimenten lassen sich nicht mit der nötigen Sicherheit auf den Menschen übertragen.
Stellungnahme DGfI:
Selbstverständlich ist nicht jedes Ergebnis aus jedem Tierversuch 1:1 auf Menschen übertragbar. Tierversuche dienen höchst unterschiedlichen Zwecken nämlich der reinen Grundlagenforschung und der Erforschung von Krankheitsentstehung, sowie v.a. therapeutischer Ansätze. Grundsätzliche biologische Mechanismen sind bei Säugetieren sehr ähnlich. Bei Studien hierzu ist die überwältigende Mehrheit der erzielten Ergebnisse daher auf den Menschen übertragbar.
Bei der Erforschung von Krankheitsmechanismen weiß dagegen jeder Forscher, dass der Mensch keine Maus ist, dass die Lebensweisen von Mensch und Maus und damit die wirksamen Umweltfaktoren sich unterscheiden. Die Krankheitsursachen wird man sehr häufig so nicht klären können (z.B. rauchen die wenigsten Mäuse freiwillig).
Eine bei bestehender Erkrankung erfolgende Erprobung von Therapien ist aber sehr wohl häufig übertragbar. Selbst so ein künstliches Modell wie die Tumor-Induktion durch Transfer von Tumorzellen in Mäuse hat zu bahnbrechenden, klinisch höchst relevanten Ergebnissen, den Checkpoint-Inhibitoren in der Krebstherapie, geführt.
Probleme bei der Übertragbarkeit gelten übrigens auch für klinische Studien: Menschen sind höchst unterschiedlich, deshalb treten immer wieder nicht vorhersehbare Nebenwirkungen bei einzelnen Patienten bei Medikamenten auf, die zuvor an tausenden von Probanden ohne diese Nebenwirkung erprobt worden waren. Sollen wir daraus folgern, dass „Die Ergebnisse von klinischen Studien sich nicht mit der nötigen Sicherheit auf jeden einzelnen Menschen übertragen lassen“? Konsequenterweise also weder Tierexperimente noch klinische Studien durchführen? Möchten die TVG also gar keine Neuentwicklungen mehr (wegen fehlender nötiger Sicherheit), oder sollen sie ohne Studien vom Labor gleich in die Apotheke?
Interessant ist auch, dass TVG hier wissenschaftliche Begründungen bemühen, obwohl sie diese ansonsten ablehnen. Als Wissenschaftler dürfen wir zurückfragen: Was ist die nötige Sicherheit? Das ist ein beliebig dehnbarer Begriff. Es gibt keine Kriterien nach denen die nötige Sicherheit definiert werden könnte.
4. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Substanzen können in verschiedenen Tierspezies sehr unterschiedliche Effekte haben. Dies kann je nach Stamm sogar innerhalb einer Spezies passieren. Als Konsequenz hieraus werden Substanzen in verschiedenen Tierspezies und Stämmen untersucht. Keiner kann also voraussagen, ob eine Substanz, die in einer bestimmten Tierspezies keine Toxizität zeigt, tatsächlich auch beim Menschen sicher ist.
Stellungnahme DGfI:
Für 99 % der Mausgene (beispielsweise!) gibt es orthologe Gene beim Menschen.
Quelle: Gunter & Dhand: Human biology by proxy. 2002, Nature 420, 509; doi:10.1038/420509a
Weiterhin sind beide Säugerorganismen und haben eine sehr vergleichbare Organstruktur. Dennoch ist ein Mensch keine Maus und natürlich lassen sich tierexperimentelle Befunde nicht 1:1 auf den Menschen übertragen. Kein Tierversuche durchführender Wissenschaftler behauptet das. Aber es erscheint doch fair, drei Schlussfolgerungen zu tätigen:
1) Ergibt ein Toxizitätsversuch einer Substanz bei Mäusen ein positives Ergebnis, wäre es äußerst riskant, diese Substanz beim Menschen in ähnlicher Konzentration einzusetzen. Kein solider Arzt würde dies tun, außer es gibt zu dem Medikament keine Alternative (z.B. ein neues Krebsmedikament) und die Krankheit ist schlimmer als die Toxizität. Insofern hilft der Tierversuch als „Filtermethode“.
2) Zeigt eine Substanz in der Maus klinische Wirksamkeit bei einer bestimmten Erkrankung – auch wenn diese nur als Modellerkrankung untersucht werden kann – so unterstützt dies die Untersuchung, ob die Substanz auch beim Menschen wirkt.
3) Wirkt sie hingegen bei der Maus nicht, müssen besondere andere Gründe vorliegen, sie beim Menschen dennoch auszuprobieren. Insoweit ist der Tierversuch erneut hilfreich.
Verschwiegen wird von den TVG außerdem die große Zahl der Experimente, die sehr wohl zum Verständnis der humanen Physiologie und zur Entwicklung wirksamer Medikamente beigetragen haben. Der Tierversuch komplementiert in vitro-Versuche zur genaueren Festlegung der Parameter, nach denen auch im Menschen nach zu erwartenden Wirkungen gesucht wird. Gibt es Nebenwirkungen im Tier, so liefern diese Hinweise, nach Verabreichung am Menschen darauf gezielt zu achten. Allerdings können nie alle Wirkungen und Nebenwirkungen vorhergesagt werden. Das ist auch nicht der Anspruch des Tierversuchs, der ja nur in einer ähnlichen aber nicht identischen Spezies stattfindet
Kürzlich ging ein sehr tragischer Fall durch die Presse, bei dem ein Proband in Frankreich bei der ersten Anwendung eines Medikaments am Menschen zu Tode kam. Hier ist sehr wichtig, festzuhalten, dass die für die Arzneimittelsicherheit zuständige Behörde (BfArM), die u.A. auch Tierversuche fordert, seit 2007 12.000 Phase I Studien beim Menschen zugelassen hat – ohne einen weiteren Zwischenfall dieser Art. Also sind Daten der Arzneimittelsicherheit an Tieren doch sehr gut auf den Menschen übertragbar, oder?
Quelle: Ärztezeitung 1/2016, S. 4
5. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Alle Medikamente werden vor der Zulassung bzw. Anwendung am kranken Menschen in der so genannten präklinischen Phase exzessiv an Tieren geprüft.
Stellungnahme DGfI:
Tierversuche dienen immer nur neben und zusammen mit in vitro-Versuchen mit menschlichen und Maus-Zellkulturen, Computermodellen und Gewebekulturen jeweils als zusätzliches Untersuchungsmodell, um den Gesamtorganismus betreffende erwünschte Wirkungen möglichst zu bestätigen und Nebenwirkungen zu entdecken. Außerdem werden nur neu entwickelte Substanzen ausführlich getestet. Bei bekannten Substanzen, aber beispielsweise neuer Kombination wird mit den Behörden verhandelt, um auf Grund der vorherigen Daten weitere (neben der Ethik auch teurere) Tierversuche möglichst zu vermeiden.
6. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Viele für die Anwendung beim Menschen zugelassene Medikamente, werden später auf Grund von Problemen, welche tierexperimentell nicht vorausgesehen wurden, wieder aus dem Verkehr gezogen oder zumindest im Gebrauch erheblich eingeschränkt.
Stellungnahme DGfI:
Diese Aussage unterschlägt, dass für solche Medikamente nicht einmal klinische Studien am Menschen eine absolute Sicherheit gewährleisten. Sarkastisch konsequent weitergedacht, wären also diese klinischen Studien gleich wegzulassen, da sie sowieso nicht aussagekräftig sind. Außerdem entzieht das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einem Medikament nach eigener (von uns überprüfter) Aussage nur sehr selten komplett die Zulassung. Weit häufiger werden bestimmte Anwendungsgebiete untersagt. Dies führt dann aber manchmal die Firma dazu, aus strategischen Gründen das Präparat komplett vom Markt zu nehmen, auch weil sich evtl. mittlerweile ein besserer Ersatzstoff anbietet.
Von Tierversuchsgegnern gelistetes Beispiel 1:
Oseltamivir (Grippemittel) Tamiflu®
• In den USA 75 Berichte über Halluzinationen, Verwirrtheit, Krampfanfälle, 12 Todesfälle
• Weltweit wurden bisher 33 Millionen Patienten mit Oseltamivir behandelt, 2 Suizide bei Jugendlichen in Japan
Kommentar DGfI:
Dies zeigt: Bei 33 Millionen behandelten Menschen traten weniger als 100 schwere Nebenwirkungen auf. Damit waren doch die Zulassungsstudien in Tieren und Menschen äußerst erfolgreich – sie haben korrekt vorausgesagt, dass für 33 Millionen Menschen die Nebenwirkungen im Hinblick auf die zu erzielende Wirkung sehr unwesentlich waren. Die Sterblichkeit bei Grippe ohne Therapie beträgt übrigens bis zu 4% (d. h. einer von 25 Erkankten stirbt).
Quelle: Bundesamt für Gesundheit Schweiz
Von Tierversuchsgegnern gelistetes Beispiel 2:
Beispiel: LD-50-Test
Der LD-50-Test, bei dem die Dosis einer Substanz ermittelt wird, bei der die Hälfte der Tiere stirbt, hat auch nach wissenschaftlicher Meinung mit Wissenschaft nichts zu tun.
Kommentar DGfI:
Das ist korrekt, daher sollte auf LD50 Versuche auch laut BfArM weitgehend verzichtet werden (Originalzitat).
7. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Für jedes Produkt mussten Zehntausende Tiere sterben. Dabei handelt es sich in den allermeisten Fällen nicht einmal um neue Produkte, da sich bei den jährlich rund 2.500 Neuanträgen für Medikamentenzulassungen in Deutschland nur alle zwei Jahre eine echte Innovation befindet.
Stellungnahme DGfI:
Diese Aussage ist nicht korrekt. Wird ein bekanntes Produkt von einer anderen Firma produziert (sog. Generika), so verlangt das BfArM nach eigener (von uns überprüfter Aussage) keinen weiteren Tierversuch mehr.
8. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde eine Fülle neuer tierversuchsfreier Verfahren entwickelt. Zell- und Gewebekulturen liefern zuverlässige, gut reproduzierbare und eindeutige Ergebnisse. Computersysteme wie QSAR (Quantitative Structure Activity Relationship) errechnen auf Grundlage der Molekularstruktur einer Substanz ihre wahrscheinliche Wirkung.
Stellungnahme DGfI:
Ja, mit Zell- und Gewebekulturen lassen sich wichtige Informationen gewinnen und viele Tierversuche vermeiden. Dies ist auch den Wissenschaftlern ein wichtiges Anliegen. Allerdings sind in vitro-Tests nicht aussagefähiger als Tierversuche, sondern liefern andere und zusätzliche Antworten. In vitro-Versuche können Tierversuche vorbereiten, und dadurch für deren Reduktion sehr wichtig sein, sind jedoch nicht ausreichend, wenn es um Interpretationen in einem intakten, lebenden Organismus geht.
Bereits jetzt erfolgt ein sehr wesentlicher Teil der Erforschung von Grundlagen unseres Organismus und der Entwicklung von Therapien tierversuchsfrei. Neben der ethischen Begründung können diese Versuche auch schneller durchgeführt werden und sind wesentlich kostengünstiger. Daher werden sie zu Recht viel häufiger durchgeführt als Tierversuche. Allerdings kann ein Versuch an einer Zelle oder an humanem Operationsgewebe nicht alles abbilden, was am kompletten lebenden Tier zu beobachten ist. Man kann den Erfolg, Misserfolg oder Nebenwirkungen einer Impfung nicht an einer Zelle testen oder ein Kreislaufmedikament an einem Gewebe in vitro ohne Durchblutung.
Computermodelle können keine Vorhersagen über andere als dem Computer bekannte Zielstrukturen liefern. Was daher tatsächlich am Computer gemacht wird, sind Versuche für Struktur/Funktionsvorhersagen, d.h. die Pharma-Industrie versucht die Zahl der zu synthetisierenden (und dadurch in der Zellkultur sowie danach im Tierversuch zu testenden) Substanzen zu begrenzen.
Aus diesen Gründen werden Tierversuche bei neu entwickelten Substanzen auf absehbare Zeit nicht ersetzbar sein. Allerdings sind alternative Methoden dennoch in der Lage, Tierversuche in erheblichem Maß zu ersetzen, beispielsweise bei jeder Qualitätskontrolle nach erneuter Herstellung einer bekannten Substanz. Auch hier sind Tierversuche derzeit (noch) üblich. Hier sind standardisierte in vitro Tests vorstellbar und es wird intensiv an deren Etablierung gearbeitet.
Übrigens sollte erwähnt werden, dass immer noch ein Großteil der Zellkultur-Versuche in Kulturmedium durchgeführt werden, welches 5-10 % fötales Kälberserum enthält. Dafür werden die Föten getötet. Dies ist deshalb nötig, weil serumfreie Medien für anspruchsvolle Zellarten häufig noch keine identische Überlebensfähigkeit gewährleisten.
Von Tierversuchsgegnern gelistetes Beispiel 1:
Die DNA (Erbsubstanz) von Bakterien ist der von höheren Lebewesen grundsätzlich ähnlich. Dies erlaubt Studien zur erbgutschädigenden Wirkung an Bakterien und Hefezellen.
Kommentar DGfI:
Interessant ist, dass die TVG Rückschlüsse von Säugetieren (Versuchstiere) auf andere Säugetiere (Mensch) negieren, jedoch Rückschlüsse von genetisch von uns völlig verschiedenen Bakterien auf den Menschen für sinnvoll halten. Zwar sind sich bakterielle DNA-Stränge und die DNA des Menschen durchaus ähnlich, jedoch nicht deren Einbettung in einen Zellkern, deren DNA-Reparaturmechanismen, das umgebende Zytoplasma und die Zellmembran – also fast alles. Bakterien leben als Einzelzellen, der Mensch ist ein mehrzelliger Organismus. Gibt man also erbgutschädigende Substanzen auf isolierte DNA-Stränge, können davon keine allgemein gültigen Aussagen gemacht werden; zum Beispiel darüber, wie diese Substanzen nach oraler Aufnahme im Körper verteilt werden und zu den DNA-Strängen irgendwelcher Zellen im Körper vordringen.
Von Tierversuchsgegnern gelistetes Beispiel 2:
Selbst komplexe Strukturen des menschlichen Körpers lassen sich mittlerweile im Reagenzglas imitieren. So ist es gelungen, die menschliche Haut mit ihren diversen Schichten verschiedener Zellen in der Kultur nachzustellen.
Kommentar DGfI:
Vor kurzem erst hat man bisher völlig unbekannte Immunzellen (sog. innate lymphoid cells, ILCs) in der Haut und anderen Organen entdeckt. Diese sind zentral an der Immunaktivierung bei Entzündungen beteiligt. Man kann vermuten, dass in Zukunft noch weitere bisher unbekannte Komponenten des Immunsystems entdeckt werden. Man kann also bei der Herstellung künstlicher Haut gar nicht gewährleisten, dass diese in allen Belangen der tatsächlichen Haut gleicht, wenn man noch nicht einmal alle Bausteine kennt.
Von Tierversuchsgegnern gelistetes Beispiel 3:
Mittlerweile kann man einen ganzen Organismus auf einem Silizium-Chip nachahmen. Solche Systeme sind genauer, schneller und wirtschaftlicher als Tierversuche.
Kommentar DGfI:
Im Gegensatz zu Gewebe, was zumeist im Reagenzglas aus Stammzellen oder seltener aus Gewebeproben generiert wurde, ist echtes Gewebe in unserem Körper mit Nervenendigungen durchsetzt, deren Beginn häufig im Rückenmark liegt. Hier ist die Brücke zu unserem Gehirn, was auf diese Weise Organfunktionen beeinflussen kann. Wie soll diese Hierarchie sinnvoll mit einem künstlich erzeugten Gewebe und im Computer nachgestellt werden?
Dessen ungeachtet unterstützen wir nachhaltig Anstrengungen, mit künstlichen Geweben Tierversuche zu ersetzen. Wir wehren uns nur gegen die Vorstellung, dass dieses Vorgehen grundsätzlich auch dann Tierversuche ersetzen kann, wenn an einer zu untersuchenden Funktion mehrere Organsysteme beteiligt sind.
9. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
In der Grundlagenforschung geht es zum Teil um zweckfreie Forschung, die einzig der Vermehrung des Wissens dient.
Stellungnahme DGfI:
Die Vermehrung des Wissens ist kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung für die Weiterentwicklung von Medikamenten. Bei den oben erwähnten Neuentwicklungen in der Krebstherapie wurden die als Zielstruktur dienenden Eiweißmoleküle in der Grundlagenforschung in einem gänzlich anderen Zusammenhang entdeckt. In ersten Tierversuchen wurde dann ihre normale Funktion beschrieben. In fortführenden Tierversuchen wurde erstmals beschrieben, dass man sich die Kenntnis dieser Funktion bei Krebs durch Beeinflussung dieser Moleküle zunutze machen kann. Erst am Ende stand dann der Versuch am Menschen, bei dem dieser Therapieerfolg zu 100 % bestätigt werden konnte. Insgesamt war dies eine Entwicklung von ca. 20 Jahren. Grundlagenforschung ist also die Voraussetzung für angewandte Forschung.
10. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Zur Erlangung akademischer Titel sind Tierversuche üblich. Sie werden aus Neugier oder Profilierungssucht für Ruhm und Ehre gemacht.
Stellungnahme DGfI:
Tatsächlich gelten wissenschaftliche Erkenntnisse erst dann als akzeptiert, wenn sie adäquat publiziert wurden. Üblicherweise müssen dabei unabhängige Gutachter die Qualität der Arbeit bestätigen. Ohne Publikation wüssten andere Wissenschaftler nichts von den Experimenten und würden sie evtl. unnötigerweise wiederholen. Durch die Gutachter soll erreicht werden, dass möglichst wenig Unsinn publiziert wird, auf den nachfolgend nicht solide aufgebaut werden kann. Tatsächlich ist die persönliche Publikationsleistung eines Forschers also ein Gradmesser für seine Arbeit. Insoweit ist Kreativität ein Markenzeichen eines guten Forschers. Allerdings wird nur publiziert, was von allgemeinem Interesse ist. Abwegige Versuchsanordnungen per se sind also eher hinderlich, außer, sie lassen im Sinne der Erkenntnis wichtige Schlussfolgerungen zu, die man andernfalls nicht erreicht hätte. Insoweit werden von vielen Gutachtern möglicherweise gerade Experimente der Zellkultur als abwegig eingestuft, wenn man ihre Relevanz nicht in einem geeigneten Tiermodell überprüft hat.
Tierversuche ausschließlich zur persönlichen Profilierung sind ein realitätsferner und unsinniger Gedanke, weil sie nur im Zusammenhang mit dem bearbeiteten Thema sinnvoll sind – und auch nur so von Gutachtern zum Zweck der Publikation oder zur Einwerbung von Forschungsgeldern akzeptiert werden.
11. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Auch die bevorzugte finanzielle Förderung tierexperimenteller Forschungsvorhaben durch Bund und Länder ist eine Triebfeder für Tierversuche.
Stellungnahme DGfI:
Dies ist eine völlig falsche Unterstellung. Die Förderung erfolgt nach der wissenschaftlichen Qualität, die ebenfalls von Gutachtern ermittelt wird. Themenbezogen mögen hier Tierversuche als relevant eingestuft werden – oder eben nicht.
12. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Wissenschaftler, Institute usw. verdienen an Tierversuchen.
Stellungnahme DGfI:
Dieser Sicht liegt ein tiefes Unverständnis der Besoldungs-Richtlinien und der Forschungsfinanzierung zugrunde. Ein Beschäftigter hat eine Arbeitsplatzbeschreibung, die er zu erfüllen hat. Tierversuche können Teil dieser Beschreibung sein, wenn sie themenabhängig nötig sind.
Tierversuchsabhängige Leistungsbezüge gibt es nicht. Ein universitärer Beschäftigter (z.B. Wissenschaftler) kann sich sogar der Bestechlichkeit schuldig machen, wenn er von irgendeinem externen Auftraggeber ohne aufwendige Genehmigungsverfahren Geld annehmen würde. Für die Institute verursachen Tierversuche nur Kosten, keine finanziellen Profite.
13. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
In einer Studie wurden 51 in Bayern genehmigte Tierversuchsanträge auf ihre klinische Umsetzung analysiert. Auch nach zehn Jahren war bei keinem einzigen Projekt eine Umsetzung in der Humanmedizin nachweisbar war.
Quelle: Lindl T, Völkl M, Kolar R: Tierversuche in der biomedizinischen Forschung. Altex 2005; 22 (3); 143-151)
Stellungnahme DGfI:
Auch bei erfolgreichen Tierversuchen dauert die klinische Umsetzung vom Tierversuchsantrag zu einer Anwendung in der Humanmedizin länger als 10 Jahre. In dieser Zeit werden auf den Vor-Daten aufbauende weitere Versuche gemacht. Der erwähnte Fortschritt in der Krebstherapie dauerte insgesamt 20 Jahre. Firmen rechnen üblicherweise mit einem Zeitraum von 15-20 Jahren. Ein genehmigter Tierversuch hat im Regelfall nur eine Laufzeit von 2-3 Jahren. Die Umsetzung kann also aufgrund der Dauer klinischer Studien in 10 Jahren nicht gelingen. Diese langen Zeiträume schaffen außerdem Sicherheit für die Patienten bei der Medikamentenentwicklung, was von den TVG offenbar so nicht erkannt wird.
14. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Regulationsmedizinische Verfahren oder Generika (Nachahmerpräparat) werden begrüßt, da so tierexperimentell arbeitende Pharmaunternehmen weniger unterstützt werden.
Stellungnahme DGfI:
Unter dem Begriff Regulationsmedizin werden die Methoden Akupunktur, Bewegungstherapie, Darmsymbiose, Eigenbluttherapie, Homöopathie, Hypnose, Magnetfeldtherapie und Osteopathie zusammengefasst. Zu diesen Therapieverfahren werden keine Tierversuche durchgeführt. Der Wert dieser Verfahren ist umstritten und deren Wirkungen gehen oft nicht über psychosomatische Wirkungen hinaus, wie sie auch mit Placebo erzielt werden. Hier wären adäquate Studien nötig! Allerdings kann das Hinauszögern oder Versäumen schulmedizinischer Behandlung bei ernsthaften Krankheiten schwerwiegende Folgen haben.
Die Empfehlung von Generikaherstellern ist scheinheilig. Generika können nur hergestellt werden, wenn zuvor andere Firmen diese Medikamente mit Hilfe von Tierversuchen entwickelt haben. Gäbe es keine Pharmaunternehmen, die auf eigene Kosten neue Medikamente entwickeln, gäbe es auch keine Generikahersteller und keine neuen Medikamente, da Generikahersteller ja nicht forschen.
15. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Die tierexperimentelle Forschung versagt. 92% der potentiellen Arzneimittel, die sich im Tierversuch als wirksam und sicher erwiesen haben, kommen wegen mangelnder Wirkung oder unerwünschter Nebenwirkungen nicht durch die klinische Prüfung.
Stellungnahme DGfI:
Diese Aussage ist irreführend. Ohne Tierversuche wäre der Anteil erfolgreicher klinischer Prüfungen noch wesentlich kleiner. Zudem werden ALLE Medikamente, die am Menschen getestet werden, AUCH in vitro an humanen Zellen getestet. Wenn diese Zahlen so stimmen, dann sind die 92% auch in humanen in vitro-Tests durchgefallen. Es ist daher falsch, Versagen bei der Humantherapie lediglich den Tierversuchen anzulasten. Zu den Begründungen, warum ein Medikament vom Markt genommen wird, s.o.
Ein weiteres Argument zum Einsatz von Tierversuchen vor der Anwendung am Menschen ergibt sich aus der therapeutischen Breite, also dem Verhältnis der wirksamen zur toxischen Konzentration. Ein schlechtes Resultat dieser therapeutischen Breite ist häufig ein Grund für das Scheitern in der klinischen Phase. Diese Breite direkt am Menschen zu bestimmen, ist ohne Tierversuchs-Modelle praktisch kaum möglich. Während die Toxizität nämlich auch bei einzelnen Individuen erkennbar wäre, bedarf es bei der Wirksamkeit bei einer Erkrankung einer sehr großen Zahl an Probanden, wenn diese genetisch nicht homogen sind (was für Menschen gilt). Ansonsten könnte man statistisch nicht unterscheiden, ob der beobachtete Effekt auf einer Placebo-Wirkung beruht.
Wenn man also keine ungefähre Vorstellung der wirksamen Konzentration aus Tierversuchen hätte, würde man viele große Gruppen von Menschen benötigen, wofür es zumeist gar nicht genügend verfügbare Patienten gäbe. Bei einer genetisch homogenen Gruppe wie einem Mausinzuchtstamm genügen dagegen relativ kleine Gruppen, wenn die Behandlung gegenüber einer Vergleichsgruppe immer zum selben Ergebnis führt. Dies ermöglicht die Testung verschiedener Dosen und damit eine ungefähre Einschätzung der beim Menschen einzusetzenden Dosis. Diese Komplexität zeigt, dass ohne den Tierversuch realistisch für kaum ein Medikament die Wirksamkeit beim Menschen belegbar wäre. Dennoch ergibt sich für die im Tierversuch ermittelte Dosis beim Menschen manchmal eine unbefriedigende therapeutische Breite und das Mittel fällt damit durch. Ein wesentlicher Grund hierfür kann sein, dass man durch den Erfolg des Tierversuchs Rückschlüsse auf eine schlecht ausgewählte und zu heterogene Patientengruppe macht; bei korrekter Auswahl ist das Mittel doch am Menschen einsatzfähig. Die Darstellung eines Beispiels für diesen Sachverhalt beim allergischen Asthma ist in Vorbereitung.
Dessen ungeachtet trachtet auch die Pharmaindustrie schon allein aus Kostengründen danach, die Rate an späteren Versagern zu reduzieren. Bei Neuentwicklungen gelingt dies durch sehr viel breitere Vortestung der chemischen Eigenschaften im Reagenzglas. Stabilität und Verteilungsvermögen ins Gewebe können heute viel besser vorausgesagt werden als vor 20 Jahren – und ungeeignete Drogen werden bereits vorab eliminiert. Dies ermöglicht auch, die Tierversuche noch sehr viel detaillierter und genauer auszuwerten als früher.
Quelle: M. Abou-Gharbia and W. E. Childers: Discovery of innovative therapeutics: today’s realities and tomorrow’s vision. 2. Pharma’s challenges and their commitment to innovation. J. Med. Chem. 2014, 57, 5525−5553
16. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Eine Studie der Pharmafirma Pfizer besagt, man könnte eher eine Münze werfen, als sich bei der Frage nach möglichen krebsauslösenden Stoffen auf Tierversuche zu verlassen. Bei der Identifizierung von für den Menschen krebserregenden Substanzen haben Tierversuche eine “Trefferquote von 50%”. Umgekehrt ist die Hälfte der aufgrund von Tierversuchen ausgemusterten Stoffe wahrscheinlich doch nicht karzinogen für Menschen.
Quelle: Münchener Medizinische Wochenschrift 1983: 125 (27),8
Stellungnahme DGfI:
Die Testung von Kanzerogenität stellt tatsächlich ein großes Problem dar. Im Gegensatz zur generellen Toxizität ist bezüglich der Kanzerogenität daher vom Gesetzgeber ein Tierversuch auch nur in Ausnahmen gefordert. Dies ist dann der Fall, wenn die beabsichtigte Wirkung oder bekannte Nebenwirkungen ähnlicher Substanzen eine karzinogene Wirkung erwarten lassen. Im Gegensatz zu allen anderen Tierversuchen ist hier die Planung individuell und daher störanfällig.
Dennoch entbehrt die zitierte „Studie“ jeglichen wissenschaftlichen Anspruchs. Sie zeigt, mit welcher Vorsicht man generell von TVG zitierter Literatur begegnen sollte. Im konkreten Fall handelt es sich um einen Kommentar einer einzelnen Person, die über ein Interview einer anderen Person berichtet (!!!). Der Kommentar behauptet, dass im Jahr 1983, also vor mehr als 30 Jahren (!), die Trefferquote im Tierversuch zur Frage, ob eine Substanz krebserregend ist oder nicht, bei 50% lag.
Wir halten nur etwas von begutachteten Studien – aber selbst wenn man diesen Kommentar ernst nehmen würde –würde er bedeuten, dass immerhin die Hälfte aller getesteten krebserregenden Stoffe im Tierversuch identifiziert werden konnten und so gar nicht erst zur Anwendung am Menschen gelangten. Der Umkehrschluss der TVG ist allerdings vollkommen spekulativ. Auf Grund der genetischen Ähnlichkeit zwischen Tier und Mensch wäre sogar viel wahrscheinlicher, dass 100% der Stoffe im Menschen krebserregend wären.
17. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Die vielen aufgrund von Tierexperimenten für sicher gehaltenen Medikamente, die beim Menschen schwerwiegende oder gar tödliche Nebenwirkungen hervorriefen, zeigen, dass sich die Ergebnisse von Tierversuchen nicht mit der nötigen Zuverlässigkeit auf den Menschen übertragen lassen. Beispiele sind Thalidomid (Contergan®), Vioxx® und TGN1412, s.u.
Stellungnahme DGfI:
Jedem Patienten ist der „Beipackzettel“ bekannt – für viele ist es ein Graus, diesen zu lesen. Er enthält potentielle Nebenwirkungen, die auch tödlich sein können. Dennoch wird das Medikament verschrieben, weil ohne diese Therapie ein sicherer Schaden für den Patienten entstehen würde. Im Gegensatz dazu sind Nebenwirkungen nicht sicher und zumeist selten – oder haben ein leicht erträgliches Ausmaß in der Abwägung zum Vorteil der benötigten Wirkung. So werden etwa bei Blutvergiftung Antibiotika verschrieben, obwohl sie einen allergischen Schock und Tod auslösen können.
Todesfälle durch Nebenwirkungen entstehen daher zu allermeist als kalkuliertes Risiko – und nicht, weil sie der Tierversuch etwa nicht korrekt vorausgesagt hätte. Im Gegenteil: Es ist der Sinn von Tierversuchen, auch potentielle Nebenwirkungen zu erkennen und die Zulassung am Menschen erfolgt in Kenntnis dieser Nebenwirkungen. Überraschende neue und wichtige Nebenwirkungen bedeuten, dass die Substanzen bereits zugelassen sind, also sogar klinische Studien am Menschen ohne Auffälligkeiten durchlaufen haben. Man kann dann sicher nicht rückwirkend fehlerhafte Tierversuche dafür verantwortlich machen. Außerdem zeigt das Beispiel Oseltamivir (Argument 7), dass gerade für neu entdeckte Nebenwirkungen einer sehr geringen Zahl Geschädigter viele Millionen erfolgreich Therapierter gegenüberstehen. Bei sehr wertvollen Medikamenten muss man daher solche seltenen Schädigungen leider bewusst in Kauf nehmen.
Von Tierversuchsgegnern gelistetes Beispiel 1:
Thalidomid (Contergan®), das bei Föten (Embryonen) schwerste Missbildungen hervorrief, wenn es als sicher angepriesenes Schlafmittel von Schwangeren eingenommen wurde. Dies zeigte sich nicht in Tierversuchen vor der Zulassung.
Kommentar DGfI:
Dieses Beispiel ist scheinheilig. Wie soll eine fruchtschädigende Substanz wie Thalidomid vorab in Versuchen aller Art als fruchtschädigend erkannt werden, wenn die jeweiligen Versuche nicht an einem schwangeren Tier durchgeführt wurden? Wie sollen Computermodelle, humane in vitro- Versuche und humane Gewebeversuche die Komplexität einer Schwangerschaft imitieren können? Auch klinische Studien an Männern und nicht schwangeren Frauen konnten naturgemäß keine Hinweise auf Fruchtschädigungen liefern. Dieses Beispiel zeigt umgekehrt: Wenn man nicht einen Situations-bezogenen (im Beispiel Schwangerschaft) Tierversuch durchführt, ist die Anwendung am Menschen für diese Situation ein unkalkulierbares Risiko.
Von Tierversuchsgegnern gelistetes Beispiel 2:
Vioxx® stand von Anfang an in der Kritik. Die Hersteller verharmlosten ein vierfach erhöhtes Herzinfarktrisiko.
Kommentar DGfI:
Vioxx® war ein Skandal, weil die Herstellerfirma bewusst Daten unterdrückt hat, die aus ihrer HUMANEN klinischen Studie stammten. Das hat also nichts mit Tierversuchen zu tun.
Von Tierversuchsgegnern gelistetes Beispiel 3:
TGN1412 sollte zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eimngesetzt werden. Vor 10 Jahren führte es für sechs Probanden in der Phase I- Erprobung zu bleibenden Schäden wie Multiorganversagen und Amputationen.
Kommentar DGfI:
Hier gab es in London beim ersten Einsatz am Menschen bei wenigen gesunden Probanden ein lebensbedrohliches Schocksyndrom, was weder im Tierversuch, noch in der in vitro Kultur mit humanen Zellen vorhergesehen wurde. TGN1412 zeigt aber in gegenwärtigen Studien sehr vielversprechende klinische Ergebnisse am Menschen bei Einsatz wesentlich niedrigerer Dosierungen als damals bei der Londoner Studie. Diese klinischen Erfolge wurden in der Tat zuvor im Tierversuch gefunden. Bei der erstmaligen Testung am Menschen war also höchstwahrscheinlich einfach die Dosis zu hoch, nicht der Tierversuch unzuverlässig.
18. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Aspirin, Ibuprofen, Insulin, Penicillin oder Phenobarbital wären uns vorenthalten geblieben, hätte man sich schon früher auf den Tierversuch verlassen. Diese Stoffe bewirken nämlich bei bestimmten Tierarten gravierende Schädigungen.
Stellungnahme DGfI:
Das ist eine unsachliche Vereinfachung. Es gibt Belege für die Wirksamkeit aller dieser Medikamente bzw. Wirkstoffe in Tiermodellen. Insulin ist sogar ein notwendiger physiologischer Bestandteil aller Säugetiere. Wie kann ein Tier sein Insulin also „nicht vertragen“. Mäuse ohne Insulin haben Diabetes wie Menschen auch!
19. ARGUMENT
Argument Tierversuchsgegner:
Die krebserregende Wirkung von Asbest ist ausschließlich durch Humanstudien aufgedeckt worden.
Stellungnahme DGfI:
Das ist unrichtig. Es gibt etliche Mausmodelle für Mesotheliome, wie sie beim Menschen auftreten durch Asbestinhalation:
- Kane AB: Animal models of malignant mesothelioma. Inhal Toxicol. 2006 Nov;18(12):1001-4;
- Robinson C et.al.: A novel SV40 TAg transgenic model of asbestos-induced mesothelioma: malignant transformation is dose dependent. Cancer Res. 2006 Nov 15;66(22):10786-94.
- Altomare DA et.al.: A mouse model recapitulating molecular features of human mesothelioma in Cancer. Res. 2005 Sep 15;65(18):8090-5.
20. ARGUMENT
Tierversuchsgegner:
Durch umfangreiche Studien mit kranken und gesunden Menschen konnte ohne Tierversuche eindeutig gezeigt werden, dass die heutigen Zivilisationskrankheiten vor allem durch Faktoren wie Rauchen, Alkoholmissbrauch, falsche Ernährung, Stress, mangelnde Bewegung usw. bedingt sind.
Stellungnahme DGfI:
Keiner will die Epidemiologie ersetzen. Mäuse leben zu kurz, um nach 20 Jahren täglichem Rauchen endlich Lungenkrebs zu entwickeln. Dieser epidemiologische Zusammenhang ist daher ein sehr gutes Beispiel für eine Fragestellung, bei der ein Tierversuch tatsächlich nicht indiziert ist. Tierversuche haben sicher ihren Platz in der Grundlagenforschung (s.o.) und in der modellhaften Erforschung von Mechanismen, die bei Krankheiten ablaufen. Dagegen sind sie nicht sinnvoll bei der Erforschung der Konsequenzen von über Jahrzehnten erfolgtem menschlichem (Fehl?)Verhalten.
Zur Frage von Tierversuchen zur Entwicklung von Medikamenten gegen Zivilisationskrankheiten siehe Punkt 3.
LINKS ZUM THEMA
- Die Stellungnahme – Auseinandersetzung mit Argumenten von Tierversuchsgegnern als PDF-Datei
- Material für Vorträge:
Vortrag – Notwendigkeit zu Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung: Beispiel Krebsforschung
Vortrag – Notwendigkeit von verantwortungsbewussten Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung: Beispiel Imatinib – die erste krebszellspezifische Therapie - Übersicht über die vielfältigen Technologien, die beispielweise vor dem Einsatz einer neuen Substanz beim Menschen zum Einsatz kommen. Tierversuche sind nur eine kleine Teilmenge: Lindsay M.A. 2003: Target discovery. Nature Reviews Drug Discovery, 2(10), 831-838