LMU-Forschende können zeigen, dass es bei Atherosklerose zu Fehlsteuerungen des Immunsystems kommt, ähnlich wie bei bekannten Autoimmunerkrankungen.
Die Atherosklerose ist die häufigste krankhafte Veränderung der Gefäßwände von Arterien. Es kommt zu Fehlfunktionen des Gefäßendothels, zu Entzündungen und zu Ablagerungen in Gefäßwänden. Engen solche Plaques Blutgefäße stark ein, sind Durchblutungsstörungen mögliche Folgen. Herzinfarkte oder Schlaganfälle wiederum können auftreten, falls Plaques einreißen und Blutgerinnsel entstehen.
„Obwohl T-Zellen schon bei der Atherosklerose nachgewiesen worden sind, war die Störung der Immuntoleranz als Krankheitsursache noch unerforscht“, sagt Prof. Dr. Andreas Habenicht vom LMU-Institut für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten. „Die Hypothese, es könnte sich um eine Autoimmunerkrankung handeln, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahrzehnten diskutiert.“
Jetzt konnte das Team um Habenicht die Vermutung mit einem Mausmodell der Atherosklerose, aber auch mit Daten menschlicher Plaques, belegen. An der Veröffentlichung in Nature Cardiovascular Research waren auch der LMU-Doktorand Zhihua Wang als Erstautor, Prof. Dr. Changjun Yin von der Sun Yat-sen-Universität in Guangzhou, China, als Letztautor und Professor Dr. Klaus Ley vom Georgia Institute for Immunology, USA, beteiligt. „Wir zeigen in dem Paper erstmals, dass mit ganz großer Wahrscheinlichkeit die Atherosklerose in späten, klinisch relevanten Stadien eine T-Lymphozyten-abhängige Autoimmunerkrankung ist“, erklärt Habenicht. Das gelte für alle drei großen T-Lymphozyten-Subpopulationen, nämlich für CD4-, für CD8- und für regulatorische T-Zellen.
Erkenntnisse aus dem Mausmodell
Habenicht und seine Kolleginnen beziehungsweise Kollegen untersuchten Kontrollpunkte des Immunsystems in einem Mausmodell für Atherosklerose. Sie arbeiteten speziell mit atherosklerotischen Plaques, mit arteriellen tertiären Lymphorganen, also Strukturen an der Außenseite von erkrankten Arterienen, und mit Lymphknoten der Tiere. „Das ist neu; bislang wurde das Lymphozyten-System nicht sonderlich beachtet“, betont Habenicht.
Hier zeigte sich, dass sich die Immuntoleranz bei Atherosklerose in verschiedenen Geweben zusammenbricht. Das betraf in erster Linie Plaques. Immuntoleranz ist der essenzielle Mechanismus der Reaktionen gegenüber einem Antigen, hier gegenüber körpereigenen Strukturen. Wenn diese Mechanismen nicht mehr funktionieren, resultieren Autoimmunreaktionen, bei denen Immunzellen das körpereigene Gewebe, hier die Arterien, angreifen.
Zu den betroffenen Kontrollpunkten gehört die klonale Expansion von CD4-, von CD8- und von regulatorischen T-Zellen. Als klonale Expansion bezeichnet man die Aktivierung und anschließende Proliferation von Lymphozyten. Normalerweise proliferieren T-Zellen nicht; dies deutet auf Störungen der Toleranz-Checkpoints hin.
„Die Immunzellen, die aggressiv werden, sind Antigen-spezifische CD8-T-Zellen, die besonders in atherosklerotischen Plaques vorkommen“, sagt Habenicht. „Wir konnten aber auch hilfreiche, schützende Zellen nachweisen, nämlich die T-regulatorischen T-Zellen.“ Diese waren in Plaques aber kaum noch zu finden. Die Balance scheint an dieser Stelle gestört zu sein. Unbekannt ist die Bedeutung der CD4-Zellen in diesem Zusammenspiel. Aber es gibt Hinweise aus früheren Arbeiten von Klaus Ley.
Autoimmune Mechanismen auch in menschlichen Plaques
Anschließend wollten die Forschenden wissen, ob Mechanismen, die im Mausmodell zu finden sind, auch für Menschen mit Atherosklerose gelten. Aus Datenbanken haben sie genetische Informationen zu humanen Plaques abgerufen und per Algorithmus mit Daten aus dem Mausmodell verglichen. Hier zeigen sich große Übereinstimmungen: Die im Tiermodell beobachtete CD8-Toleranzstörung tritt auch in menschlichen Koronar- und Karotisarterien-Plaques auf. „Unsere Daten stützen somit das Konzept der Atherosklerose als echter T-Zell-Autoimmunerkrankung, die Arterienwände angreift“, sagt Habenicht.
Er sieht als mittelfristige Perspektive, in Kontrollpunkte einzugreifen, um Atherosklerose zu behandeln. Kausale Therapien gibt es bislang nicht. Das generelle Prinzip ist von Krebstherapien bekannt. Checkpoint-Inhibitoren gelten als effektive Therapien, die bereits etliche Menschenleben gerettet haben. Nur unterscheiden sich die Mechanismen bei Krebs und bei Atherosklerose grundlegend. „Deshalb wollen wir zusammen mit Klaus Ley herausfinden, welche Autoantigene hier von Bedeutung sind“, so Habenicht.
Originalpublikation: Zhihua Wang, Xi Zhang, Shu Lu, Chuankai Zhang, Zhe Ma, Rui Su, Yuanfang Li, Ting Sun, Yutao Li, Mingyang Hong, Xinyi Deng, Mohammad Rafiee Monjezi, Michael Hristov, Sabine Steffens, Donato Santovito, Klaus Dornmair, Klaus Ley, Christian Weber, Sarajo K. Mohanta, Andreas J. R. Habenicht & Changjun Yin: Pairing of single-cell RNA analysis and T cell antigen receptor profiling indicates breakdown of T cell tolerance checkpoints in atherosclerosis. Nature Cardiovascular Research, 2023
Quelle: Pressemitteilung Ludwig-Maximilians-Universität München 02/2023