Die Wissenschaft muss sich stärker als bislang gesellschaftlichen Herausforderungen stellen. Hierin sieht der neue Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, der Neurophysiologe Hans-Christian Pape, ein zentrales Thema seiner Präsidentschaft. „In der Politik erleben wir international das Wiedererstarken von Nationalismus, Isolationismus und radikalen Positionen. Unsere Arbeit, das Engagement unserer Geförderten in mehr als 140 Ländern weltweit, ist ein Gegengift gegen solche Tendenzen“, sagte Pape heute in Berlin vor Journalisten.
„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im weltweiten Netzwerk der Stiftung übernehmen Verantwortung und sind Motoren für Fortschritt, Veränderung und kritische Diskussionen. Manche von ihnen geraten wegen ihrer Arbeit und offenen Meinung sogar in Gefahr. Ihnen helfen wir mit unserem Philipp Schwartz-Stipendium für gefährdete Wissenschaftler und bieten ihnen Schutz an deutschen Hochschulen an. Wir dürfen nicht müde werden, Wissenschaft zu fördern als ein Gegenmodell zu geschlossenen Gesellschaften und radikaler Politik, das den Nutzen von internationaler Zusammenarbeit und Offenheit beweist“, betonte der neue Stiftungspräsident am Freitag. Bereits am Abend zuvor hatte Hans-Christian Pape seine Antrittsrede beim Neujahrsempfang der Humboldt-Stiftung in Berlin vor rund 300 internationalen Gästen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sowie Humboldtianerinnen und Humboldtianern gehalten.
Am Freitag vor Journalisten unterstrich Pape, die Wissenschaft stehe aber auch selbst vor gesellschaftlichen Herausforderungen: „Was wir auch zunehmend erleben sind Wissenschaftsskepsis, ja sogar Wissenschaftsfeindlichkeit bis hin zu Verschwörungstheorien. Wir müssen die Kommunikation mit der Öffentlichkeit stärker als unsere Aufgabe annehmen und als Wissenschaft Antworten geben, wie wir beispielsweise in die digitalen Echokammern hineinwirken und zu Skeptikern vordringen, die sich in ihren Filterblasen eingerichtet haben. Dieser Aufgabe wollen wir uns mit unseren Partnern in der Allianz der Wissenschaftsorganisationen stellen.“
Pape mahnte auch Selbstkritik an: „Sind wir nicht auch selbst daran schuld, dass die Wissenschaft an Glaubwürdigkeit verloren hat? Ich meine ja. Vom Publikationsdruck und daraus folgender Überhitzung unseres Begutachtungssystems über das voreilige Veröffentlichen vermeintlicher Erkenntnisse, die später wieder einkassiert werden müssen, bis hin zu bewussten Fälschungen und anderem wissenschaftlichen Fehlverhalten. Wir müssen unsere Selbstreinigungskräfte, unser wissenschaftliches Immunsystem, stärken.“
Die Stiftung müsse sich neben allen gesellschaftlichen Aufgaben aber auch und vor allem mit ihren Förderangeboten in einer internationalen Konkurrenz behaupten. Hierzu gehöre auch, auf die wachsende Nachfrage reagieren zu können: „Wir beobachten seit mehreren Jahren, dass das Interesse an unseren Stipendien steigt, die Anzahl der Stipendien, die wir vergeben können, aber nicht, weil uns die Mittel hierfür fehlen. Wir müssen deshalb viele hervorragende Bewerber ablehnen, die wir eigentlich fördern sollten. Das frustriert viele Wissenschaftler in Deutschland, die einen Forscher für ein Stipendium vorschlagen, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Mehr Stipendien verleihen zu können, ist deshalb ein Ziel“, so Pape.
Der Neurophysiologe Hans-Christian Pape ist seit Januar 2018 neuer Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung. Er lehrt und forscht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Der Hirnforscher zählt zu den führenden Experten auf dem Gebiet der neurophysiologischen Grundlagen des emotionalen Verhaltens. Besondere Anerkennung hat Pape mit seiner Forschung zu Angst und Angsterkrankungen, Furcht und Furchtgedächtnis sowie zu Prozessen von Schlaf und Wachheit erlangt. Hierfür erhielt er zahlreiche renommierte Forschungspreise, darunter der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis und der Max-Planck-Forschungspreis, verliehen von der Alexander von Humboldt-Stiftung gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft.
Neben seiner Forschung ist Hans-Christian Pape national wie international in Gremien und Beiräten aktiv. Er war unter anderem von 2011 bis 2017 Mitglied des Wissenschaftsrates, der Bund und Länder bei der inhaltlichen und strukturellen Entwicklung von Hochschulen, Wissenschaft und Forschung in Deutschland berät. Dort leitete Pape zuletzt die Wissenschaftliche Kommission und gehörte zeitweise dem Präsidium des Wissenschaftsrates an. Seit 2017 ist er Mitglied der Auswahlkommission des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft.